Leseprobe
„Sind Tiere nur Gegenstände?“

von Siegfried Schliemann und Sigrid Langanki

Am 1. August 2002 wurde das Grundgesetz um drei Worte ergänzt. Der Artikel 20a lautet jetzt: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere […]“ Diese Änderung war dringend geboten, ist allein aber längst nicht ausreichend. In der Tierhaltung oder bei Tierversuchen werden Tiere bis heute noch immer ganz allgemein als „Dinge“ betrachtet, über die beliebig verfügt werden kann. Tierquälerei der schlimmsten Art wird im vermeintlichen Interesse der vielfältigen Forschung sowie der ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln in Kauf genommen. Dies ist ein unerträglicher Missstand. Tiere sind keine Gegenstände. Sie sind uns anvertraute Mitgeschöpfe, und wir haben die Pflicht, sie zu schützen, anstatt sie zu quälen.

Haben Tiere eine Seele? 

Jeder, der einmal von einem Hund, einer Katze oder einem Pferd über Jahre begleitet wurde und erlebt hat, welche Gefühle der Freundschaft, Treue und Anhänglichkeit, aber auch der Trauer und des Mitfühlens sie ihm entgegenbringen können, wird davon überzeugt sein, dass Tiere beseelt sind. Dabei stehen ihre Gefühle immer in enger Wechselbeziehung zu unseren eigenen Gefühlen, die vom Tier aufgenommen und widergespiegelt werden. 

Haben Tiere nun eine Seele? Von Purucker schreibt hierzu: „Das Tier wäre ohne eine Seele nicht vorhanden, denn es hätte kein individuelles Zentrum, das den physischen Körper bilden könnte. […] So ist auch das Tier das Ergebnis des verbindenden und individualisierenden Werkes der inneren Seele, der Tier-Seele. Mit ,Tier-Seele‘ aber ist eine dem Tier entsprechende Seele gemeint, sie ist nicht mit unserer menschlichen Seele zu verwechseln. Eine solche Idee widerspräche der Natur. Ein Hund hat eine Hunde-Seele, ein Elefant eine Elefanten-Seele, eine Katze eine Katzen-Seele, und ein Mensch hat eine Menschen-Seele.“[1] 

Tiere haben jedoch nicht in dem Maße ihre Individualität zum Ausdruck gebracht wie wir Menschen. Tiere aller Art sind übergeordneten Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten unterworfen, die ihr Zusammenleben regeln und sie in ihren Aktivitäten anleiten. Beispiele hierfür sind im Vogelzug zu erkennen. Die Zugvögel brechen alle Jahre wieder im Herbst mit unfehlbarer Sicherheit nach Süden auf und fliegen im Frühjahr mit derselben Sicherheit wieder zurück. Ein anderes Beispiel ist die geometrisch exakte Arbeit der Bienen an den Honigwaben. Die übergeordneten kosmischen Gesetzmäßigkeiten sind in ihren prinzipiellen Auswirkungen somit auch im Verhalten der Tiere wiederzuerkennen. Nichts geschieht zufällig. Hinter allem steht Gesetz und Ordnung, die sowohl unser Zusammenleben als auch das der Tiere prägen. 

Jedes Tier hat eine eigene sich entwickelnde Charakteristik und somit eine eigene Seele. Seele bedeutet „Träger“, upâdhi. Und dieser Träger wird – bei jeder Wesenheit, auch beim Menschen – von ihrem höheren Teil, der Monade, während der Lebenszeit manifestiert. Die Seele ist daher ein substanzieller Teil der niederen Essenz des Geistes. 

Besonders innerhalb der verschiedenen Tierarten ähneln die Seelen der Tiere einander mehr, als dies beim Menschen der Fall ist. Wir unterscheiden uns von den Tieren durch unser Selbstbewusstsein, das wir im Laufe der Evolution entwickelt haben. Auch haben wir einen freien Willen, den wir in einem sehr viel umfangreicheren Maß nutzen können als die Tiere. Das macht die Vielfalt der Seelenentwicklung im Menschenreich aus. Der Mensch kann sich zwischen „Gut“ und „Böse“, zwischen Egoismus und Altruismus entscheiden. Tiere hingegen unterliegen mehr instinktgeleiteten Verhaltensweisen, die sie der Verantwortung entbinden, während der Mensch sie zu tragen verpflichtet ist. 

Ein Zitat von Puruckers mag dies verdeutlichen: „Die Monaden in den niederen Reichen sind wesentlich enger miteinander verzahnt und einander viel ähnlicher als die mehr individualisierten Monaden in den höheren Reichen. Doch es wäre ganz falsch und würde zu Irrtümern führen, wenn man sagte, dass die Monade eines Tieres zum Beispiel in einen Seelenozean oder eine Gruppenseele zurücksinkt und niemals wieder daraus hervorkommt, es gehen vielmehr andere, neue Differenzierungen, neue Tröpfchen aus dem Ozean hervor.“[2] 

Besonders Haustiere können aufgrund ihrer Nähe zum Menschen ein beeindruckendes Maß an Individualität erlangen. Ihre Seelen sind schon so weit entwickelt, dass sie menschliche Attribute annehmen können. Dies geschieht über den Austausch von tierischen und menschlichen Lebensatomen. Auch berühren unsere Gedanken, Gefühle und Emotionen die Seelen der Tiere mit der Folge, dass sie in bescheidenem Rahmen sogar menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen annehmen können. 

Während in wildlebenden Tieren das Denkvermögen nur als Anlage, latent vorhanden ist und vom Instinkt überlagert wird, können zum Beispiel Hunde die Gedanken ihrer Halter teilweise aufnehmen, sie verarbeiten und sogar eigene Denkleistungen vollbringen. Es ist ihnen möglich, sich dem Menschen verständlich zu machen, regelrecht mit ihm zu „reden“ oder sich ohne Worte mit ihm zu verstehen. Sie nehmen durch Nachahmung menschliche Züge und Gewohnheiten an, zeigen nachvollziehbare Gefühle, können beleidigt, eifersüchtig, ärgerlich, zornig sein oder um Verzeihung betteln. Sie haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie etwas angestellt haben, und sie verfügen über die Fähigkeit, ihr Herrchen oder Frauchen mehr oder weniger bewusst zu täuschen. Diese Situationen entbehren mitunter nicht einer gewissen Komik, die so manchen Tierhalter schnell wieder mit seinem tierischen Hausgenossen versöhnen. Aktives, selbstbewusstes Denken oder Nachdenken über eine Sache, wie es dem Menschen möglich ist, ist im Tierreich aber noch nicht hinreichend entwickelt.

Jedes Tier enthält somit einen inneren Kern, der es zum Leben antreibt. Dieser Kern enthält alle Anlagen, die ein Tier während der eigenen Evolution in seiner Verkörperung zum Ausdruck bringt. Ein Hund könnte nicht zu einem Hund heranwachsen, wären nicht bereits alle Anlagen für den künftigen Hund vorhanden. So gibt es weder tote ‚Dinge‘ noch seelenlose Tiere. Angefangen bei den Elementalen, von denen Wissenschaftler bislang keine konkreten Vorstellungen haben, auf die in der Quantenphysik jedoch erste Hinweise zu finden sind, indem die Übergänge vom rein Physischen zu den unteren Stufen des Astralen ständig weiter erforscht werden, über die Lebensatome, die die mannigfaltigen physischen Körper aller Wesenheiten hier auf Erden aufbauen, weiter über die Minerale, Pflanzen und Tiere bis schließlich hin zum Menschen enthält jede Wesenheit diesen essenziellen Kern – die Monade –, denn alles lebt, ist von Leben erfüllt, es gibt nichts Totes. Aus toter Materie könnte kein Leben hervorgehen. Der große Irrtum Darwins und seiner Anhänger trägt noch heute zu unserem materialistischen Weltbild bei, zur Verrohung gegenüber den Tieren sowie zur Ausbeutung der gesamten Natur. Auch trägt er zum Konkurrenzverhalten im täglichen Leben bei. Mitmenschlichkeit, speziell im Berufsleben, ist ein seltenes Gut geworden. Kriege sind das Resultat einer auf Macht, Korruption und Gier basierenden Entmenschlichung. Allen gemeinsam ist die fatale Irrlehre einer seelenlosen Transformation, die eine Reinkarnation ausschließt.

Bärbel Ackermann


Können Tiere zu Menschen evolvieren? 

Alle Tiere evolvieren, um in einem äonenlangen Entwicklungsprozess über das Tierstadium hinaus Menschen zu werden. Es sind jedoch nicht die Tierkörper, die zu Menschen evolvieren, sondern ihre Seelen lernen, aus dem Tierstadium herauszuwachsen. Jedes Reich, auch das des Menschen, ist dazu bestimmt, dem Lauf der Evolution zu sich ständig weitendem Bewusstsein zu folgen. 

Zwischen den normalen Tieren und den Säugetieren gibt es einen großen Unterschied im Grad der Evolution ihrer Seelen. Die Säugetiere, insbesondere die Haustiere, folgen dem Menschenreich direkt nach. Haben sie die Stufen des Tierreichs bis zur höchsten Stufe erreicht, sodass sie im Tierreich nichts mehr hinzulernen können, sind sie die Ersten, die ins Menschenreich evolvieren können. Der Entwicklungsprozess von einer Tierseele zu einer menschlichen Seele ist jedoch ein sich über Jahrmillionen vollziehender Prozess, dem viele Zwischenstadien vorausgehen. Die Natur macht keine Sprünge, wie auch die Embryologie überdeutlich zeigt. Tiere folgen also dem Menschenreich, indem sie ihre Seelen weiterentwickeln. In der Schule des Lebens sind wir ihnen zwar um einige Klassen voraus, doch können wir daraus keinesfalls mehr Rechte, sondern eher mehr Pflichten ihnen gegenüber ableiten. Schließlich sind sie tatsächlich unsere jüngeren Brüder. Der Ausspruch „Sei deines Bruders Hüter!“ bekommt eine besondere Gewichtung. Er zeigt die Verantwortung, die der Mensch den Tieren gegenüber hat.

Wenn sie doch nur bedenken wollten, […] dass ein Tier ebenso schmerzhaft Misshandlung, barbarischen Missbrauch größerer Stärke und Wehe fühlt als wir, und vielleicht noch lebhafter, da seine ganze Existenz auf sinnlichen Empfindungen beruht; dass diese Existenz vielleicht seine erste Stufe ist, um auf der Leiter der Schöpfung dahinauf zu steigen, wo wir jetzt stehen; dass Grausamkeit gegen unvernünftige Wesen unmerklich zur Härte und Grausamkeit gegen unsere vernünftigen Nebengeschöpfe führt – wenn sie doch das alles fühlen und ihr Herz dem sanften Mitleiden gegen alle Kreaturen eröffnen wollten!

Freiherr Adolph von Knigge: Über den Umgang mit Menschen. Kapitel 9: Über die Art, mit Tieren umzugehen.

Leiden Tiere? 

Tiere sind also durchaus beseelte Wesen, denn sie sind evolvierende Seelen. Sie können Gefühle zeigen, und es besteht daher kein Zweifel, dass sie Schmerz und Leid empfinden. Manche Tiere können weinen und selbst für uns wahrnehmbar ihre Trauer über verstorbene Artgenossen zum Ausdruck bringen. Und wen rühren nicht jene Geschichten von Hunden, die so lange am Grab ihres verstorbenen Herren wachten, bis auch sie in ihrem Schmerz aus dem Leben schieden, verhungert, verdurstet und mit gebrochenem Herzen. Und was die Treue eines Hundes betrifft, sind wir Menschen diejenigen, die von ihm lernen können. 

Fatalerweise ist es der Mensch, unter dem unsere Tiere hauptsächlich leiden – derselbe Mensch, der ihnen in der Entwicklung weiterhelfen sollte! Aus Profitgier und Schaulust werden grausame Tierkämpfe veranstaltet. Im Namen einer unerbittlichen Forschung werden Tiere in herzlosen Tierversuchen gequält und getötet, obwohl die Ergebnisse oft sinnlos sind und auch auf anderem Weg gewonnen werden könnten. Zur angeblich besseren Versorgung der Wohlstandsgesellschaft wird eine Massentierhaltung betrieben, die die Grundbedürfnisse der Tiere unberücksichtigt lässt. Sie werden nicht als beseelte Mitgeschöpfe auf unserer Erde anerkannt. 

Die vom Menschen ausgehenden Grausamkeiten zeigen, wie weit der Mensch noch von einem humanen, verantwortungsvollen Denken und Handeln entfernt ist. Vom ethisch-moralischen Standpunkt aus gesehen haben Tiere ihre eigene Würde und ihr unanfechtbares Lebensrecht. Wir tragen Verantwortung für sie, denn wir sind ihnen überlegen, mehr noch, ohne das Tierreich wäre unsere Existenz nicht möglich. Dies verpflichtet zu Fairness und größtmöglicher Fürsorge. Diese Pflicht wird eklatant vernachlässigt. Auch die Erweiterung des Artikels 20a des Grundgesetzes, das den Tierschutz zum Staatsziel macht, wird die Situation der Tiere in Deutschland vorerst kaum ändern. Laut Stellungnahmen aus dem Agrarministerium und der Deutschen Forschungsgesellschaft hat es keine automatische Auswirkung auf derzeit geltendes Recht. Der Artikel 20a ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, doch wenn das neue Staatsziel nicht entsprechend umgesetzt wird und in das Denken und Handeln Verantwortlicher einfließt, sind die BSE-Krise und der Nitrofen-Skandal nur blasse Vorläufer von unvorhersehbaren Katastrophen, die noch auf uns zu kommen werden. 

Da die universal wirkenden Natur-Gesetzmäßigkeiten in letzter Konsequenz in sich harmonisch und gerecht sind, werden die Vergehen gegenüber den Tieren unausweichlich auf den Menschen zurückwirken. Nicht immer wird der Bezug zwischen Aktion und Reaktion, Ursache und Wirkung erkennbar sein, da viele Lebenszusammenhänge noch unbekannt sind. Doch Karman, das Gesetz von Ursache und Wirkung, wird sich uneingeschränkt und gerecht auswirken. 

Tiere sind unsere Mitgeschöpfe: ihre Seelen, ihre Schicksale sind unausweichlich mit uns verbunden. Es ist der Mensch, der über ihr Wohl oder Wehe entscheidet – und damit in einem ganz außerordentlichen Ausmaß rückwirkend auch über sein eigenes zukünftiges Schicksal.


Aus: Verborgenes Wissen – Die Einheit von Mensch und Natur, S. 106.

Fußnoten: [1] Gottfried von Purucker: Haben Tiere Seelen? In: Fragen, die wir alle stellen – Eltern und Kind. Hannover, 1991, S. 161. [2] Gottfried von Purucker: Studien zur Esoterischen Philosophie. Hannover, 1986,  Bd. II, S. 393.